Philosophie

 Marx

von
Eberhard Braun

An Marx zeigt sich: "Denken heißt Überschreiten"

  • PH = Prinzip Hoffnung

Im Vorwort zum Hauptwerk "Das Prinzip Hoffnung" notiert Bloch: "Denken heißt Überschreiten. Freilich, das Überschreiten fand bisher nicht allzu scharf sein Denken. Oder wenn es gefunden war, so waren viel zu schlechte Augen da, die die Sache nicht sahen. Fauler Ersatz, gängig-kopierende Stellvertretung, die Schweinsblase eines reaktionären, aber auch schematisierenden Zeitgeistes, sie verdrängten das Entdeckte" - die Hoffnung - "im Bewußtwerden konkreten Überschreitens bezeichnet Marx die Wende." (PH 3f.) Die Aussage ist Programm, es gibt Auskunft, weshalb und wie der Philosoph sich als Marxist verstand. Innerhalb der Philosophie der Hoffnung ist Marx nicht nur ein Meilenstein. Er hat das Hoffen nicht nur zum zentralen Inhalt gemacht, sondern auch konkret, realisierbar werden lassen. Für Bloch ließ Marx die Welt vor allem als veränderbar erscheinen. In allen systematischen Werken Blochs kommt Marx an zentralem Ort zur Sprache. Er war für ihn das Ereignis, das ebenso praktisch wie theoretisch die Wende brachte.

"Weltveränderung oder die Elf Thesen von Marx über Feuerbach"

Bloch nimmt sich keineswegs die 'Kritik der politischen Ökonomie', die endgültige, wenn auch fragmentarische Gestalt der Theorie vor, auch nicht die Ökonomisch-philosophischen Manuskripte von 1844, den ersten Versuch einer Kritik der bürgerlichen Ökonomie, sondern Marxens "Elf Thesen über Feuerbach" vom März 1845. Sie sind 1845/46 verfasst und vermutlich Vorstudien zur "Deutschen Ideologie". In ihnen findet sich das erstaunliche Argument: "Das Erfaßte, das sich so zu fassen versteht, zeigt die Pointen auf dem Weg." (PH 288) Wieso hat der Interpret ausgerechnet diese Thesen sich vorgenommen, hastig hingeworfene Notizen ohne systematischen Anspruch, von vornherein nicht für den Druck bestimmt? Das Resultat ist paradox genug: Das "Kapitel Weltveränderung oder die elf Thesen über Feuerbach" (PH 288) ist die mit Abstand ausgeführteste, systematischste, beziehungsreichste Interpretation, die wir haben. Marxens Skizzen, die in lockerem, wiewohl pointenreichem Kontext stehen, gaben dem ingeniösen Interpreten reichhaltig Anlass zur Deutung.

Bloch integriert Marx ins eigene System Die Einteilung der elf Thesen gibt ebenso Auskunft über des Verfassers eigene Werkstätte wie über Marxens Entwurf. Der Autor gliedert folgendergestalt: erstens die "erkenntnistheoretische Gruppe: Anschauung und Tätigkeit" (Thesen 5, 1, 3), zweitens die "anthropologisch-historische Gruppe: Selbstentfremdung, ihre wirkliche Ursache und der wahre Materialismus" (die Thesen 4, 6, 7, 9, 10), drittens die "zusammenfassende oder Theorie-Praxis-Gruppe: Beweis und Bewährung" (die Thesen 2, 8) und schließlich viertens die wichtigste These: "das Losungswort und sein Sinn" (die These 11). Wie in einem Brennspiegel verrät Blochs Marx-Interpretation die Selbstdeutung. Die erste Gruppe setzt erkenntnistheoretisch ein und sprengt in einer Wiederholung von Schellings Umkehrung der Transzendentalphilosophie in Naturphilosophie die gesamte Erkenntnistheorie. Bloch kann die zweite Gruppe zugleich anthropologisch und historisch nennen, weil ein invarianter, jedoch nach vorne offener Begriff des menschlichen Wesens für Bloch sich keineswegs widerspricht. Es genügt, dass die Richtung invariant ist. Mit der "Theorie/Praxis-Gruppe: Beweis und Bewährung" ist ein Grundproblem Blochs bezeichnet. Das Sinnproblem verknüpft der Autor mit dem Dunkel des gelebten Augenblicks. Er lädt und überhöht es unversehens metaphysisch. Er hat in der Tat Marx in sein System eingebaut, nicht umgekehrt.
Literaturhinweise
  • Kristina Ijma: Ernst Blochs Konstruktion der Moderne aus Messianismus und Marxismus. Erörterungen mit Berücksichtigung von Lukács und Benjamin, "N und P Verlag für Wissenschaft und Forschung", Stuttgart 1995
  • Eberhard Braun: Grundrisse einer besseren Welt. Beiträge zur politischen Philosophie der Hoffnung, Talheimer Verlag, Mössingen-Talheim 1997