Philosophie

 Schelling

von
Eberhard Braun

"Zwischenwelten": der poetische Philosoph der Natur

  • SO = Subjekt-Objekt
  • ZW = Zwischenwelten

Ernst Bloch hat den großen klassischen idealistischen Philosophen mit romantischen Neigungen nicht mit einem Buch geehrt, wie er es mit Hegel tat. (SO) Schelling ist in allen Werken präsent, wie die Namensverzeichnisse belegen."Die Zwischenwelten. Aus Leipziger Vorlesungen", das auf 'high lights' buntes Licht wirft, - das Konzept der Zwischenwelten – sind dem poetischen Philosophen der Natur gewidmet: Schelling: Über dem Produkt das Produzierende nicht vergessen. Der Ausschnitt aus den Leipziger Vorlesungen feiert die lebendige Natur, die Produktivität, die qualitativ geladenen poetischen Nachtseiten der Natur, die Tätigkeit (natura naturans) im Gegensatz zum toten Faktum, dem Leichnam des Resultats (natura naturata).

Leipziger Vorlesungen aus dem Nachlaß: Schellings utopisches System

  • LV = Leipziger Vorlesungen

 

In den vierbändigen "Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie 1950 – 1956" aus dem Nachlaß geht Bloch die ganze Philosophie Schellings von ihren Anfängen bis zur unveröffentlicht gebliebenen Spätphilosophie in origineller Form durch. Man spürt, er spricht aus nahe verwandter Betroffenheit. (LV 4, 189-256) "Es ist mit dem Nachruhm Schellings eine eigentümliche Sache. Bei uns ist er seit einigen Jahren fast verdrängt, oder es fällt ... gelegentlich ein böser Blick auf ihn. Man zitiert das Marx-Wort vom aufrichtigen Jugendgedanken, aber ansonsten wird über ihn geredet, wie die Hegel-Epigonen einst über ihn geredet haben, zum Teil aus denselben" – politischen – "Gründen." (LV 4, 189) Die Worte fielen in einem Hörsaal der Leipziger Universität im 'ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden', der tatsächlich eine Despotie war. "Schelling begann mit dem Farbigen und verließ es nie. Ein Wort, das ihm auf den Leib geschrieben war, hieß: Alle Dinge suchen ihren Dichter. Also nimmt bei ihm die Erzeugung zunächst einmal einen Charakter an, in dem die Dichtung am Wahrheitsbegriff teilnimmt, was alle quantitative Trockenheit ausschließt." (LV 4, 199) "Schelling war ein deklarativer Typ durchaus", weiß Bloch zu berichten. "Er schrieb in seiner Jugend außerordentlich schnell; über ihn wurde gesagt, daß er seine Studien vor den Augen des Publikums treibe. Er veröffentlichte während seiner jungen Jahre in bewundernswürdigem Schöpferfleiß immer wieder neue Entwürfe, aber es fehlt ihm der Aristotelische, der Hegelsche Fleiß, die Kantische Bohrfähigkeit." Da trägt sich seltsam Befremdendes zu. "... der vorher so Schreibfreudige verstummt." (LV 4, 196) Sein Blick auf die Welt verdüstert sich, er wird pessimistisch. Enttäuscht wendet sich der glühende Verehrer von der Französischen Revolution ab, wird reaktionär.

Wie kommt das Objekt zum Subjekt und dadurch zu sich selbst? Was war nun "Schellings aufrichtiger Jugendgedanke", wie Bloch den revolutionären Demokraten zitiert? Der poetische Philosoph der Natur kehrte die Transzendentalphilosophie in Naturphilosophie um, womit er dem spekulativen Idealismus als erster die Pforte öffnete, in Blochs eigenen Worten: "Kants Frage lautete: Wie kommt das Subjekt zum Objekt? ... Wenn man nun die Transzendentalphilosophie als den ersten Teil der Philosophie versteht, so springt die umgekehrte Frage heraus: Wie kommt das Objekt zum Subjekt und dadurch zu sich selbst? Und das genau ist die Grundfrage der Schellingschen Naturphilosophie, ein Gedanke von großer Kühnheit." (LV 4, 199 f.) Transzendentalphilosophie und Naturphilosophie fußen dann auf subalternen Prinzipien, sind untergeordnete Standpunkte einer noch höheren absoluten Indifferenz von Subjekt und Objekt: die Identitätsphilosophie war geboren. Die philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit von 1809 waren seine letzte systematische Schrift, die er publizierte. Im zweiten Jahrzehnt startete er das dreieinige systematische Riesenprojekt "Die Weltalter" mit den Teilen "Vergangenheit", "Gegenwart" und "utopische Zukunft", worüber der Referent in Grundzügen berichtet. Das Systemprojekt scheiterte. Bloch faszinierte an Schelling die ausgreifend kosmologische Dimension der Utopie.

Nachhaltige Wirkung auf die Kategorienlehre (EM)

  • EM = Experimentum Mundi

 

Die nachhaltigste Wirkung hat Schelling auf die Kategorienlehre geübt. Ohne ihn und den Schelling-Schüler Eduard von Hartmann wäre Blochs Philosophie nicht denkbar, die schroffe Trennung von blind willenhaftem Daß und kraftlos logischem Was, der Ursprungsstätte dessen, was man später diffamierend "Irrationalismus" oder auch "Unheilslinie" nannte. Diese Strategie war eine Konzession an die Staatsdoktrin der DDR, der Kern seiner Philosophie war davon nicht berührt, wie gerade Blochs ganz unorthodoxe Feier des als Reaktionär verrufenen Schelling belegt. Ein fundamentaler Unterschied freilich besteht: bei Schelling läutert sich die Utopie zu den lichten Höhen des versöhnten absolut Allgemeinen, bei Bloch hingegen sprengt die Utopie des gerade gelebten Augenblicksdunkels die Systemintention; Offenheit und Geschlossenheit befinden über Möglichkeit und Unmöglichkeit der Utopie. Nietzsche winkt.

Literaturhinweise
  • Jürgen Habermas, Ein marxistischer Schelling (1960), in: Politisch-philosophische Profile, dritte, erweiterte Auflage Suhrkamp Verlag 1981, S. 141 - 159
  • Horst Folkers: Zur Heimat Blochschen Denkens in der Hegelschen Dialektik und der Schellingschen Spätphilosophie, Bloch-Almanach, 9/1989, S. 123 – 146
  • Horst Folkers: Schellings Erfahrung der Offenbarung und Blochs Fahrt nach Utopien. Mit einem ungedruckten Brief Ernst Blochs zur dynamischen Physik des jungen Schelling, Bloch-Almanach, 10/1990, S. 13 – 44
  • "Hoffnung kann enttäuscht werden". Ernst Bloch in Leipzig, dokumentiert von Volker Caysa, K. D. Eichler und Elke Uhl, Hain Verlag Frankfurt/Main 1992
  • Hans-Uwe Feige: Willkommen und Abschied: Ernst Bloch in Leipzig (1949 – 1961), Bloch-Almanach, 11/1991, S. 159 – 190