Aus VorSchein-Heft Nr. 1 / 1994:
Jens Scheer

 

Stichpunkte zu Technik und Zukunft bei Bloch sowie
Zu neuem Naturumgang in Neuer Gesellschaft

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Bloch bezog sich, was die Einstellung zur Natur, oder Materie angeht, auf den Traditionsstrang der "aristotelischen Linken", von Ibn Sina (Avicenna) und lbn Ruschd (Averroes) zu Giordano Bruno, dann Schelling und auch Marx. Gemein ist ihnen, daß Natur, Materie nicht als etwas Passives, Wachsartiges angesehen wird, das von einem anderen, Geist, Gott..., gestaltet werden muß, sondern als etwas aktives, mit eigener gestalterischer, kreativer, produktiver, schöpferischer Potenz.

Hierfür gibt es seit Ibn Ruschd den latinisierten Ausdruck natura naturans, was das kreative hervorbringende Moment beinhaltet, im Gegensatz zur passiv vorliegenden natura naturata. Bloch nähert sich dieser Idee in vielfältigen Formen: "Produktionsherd in der Naturwelt", "im Schoß der Natur schlummernde Schöpfungen" (805), "Herd des Produzierens in der Natur", "objektive Produktionstendenz" , "Natursubjekt , Naturtendenz" (805), "allemal noch gärender Kern (inquietude poussante bei Leibniz)" (803). Aber auch: "Bildekräfte einer gefrorenen Natur" (807) (dazu gleich!).

Er bemerkt ausdrücklich:

"Wie der alte Begriff natura naturans, der zuallererst ein Subjekt der Natur bedeutet zwar, wie bemerkt, noch halbmythisch ist, aber in nichts (auf idealistische Weise) ein Psychisches als Prius vor natura naturata setzt. Konträr, der Begriff natura naturans war von Anfang an, von seinem Urheber, dem »Naturalisten« Averroes an, auf schöpferische Materie bezogen."
Wobei er das gleich gegen "pantheistischen Vitzliputzli" (787) abgrenzt und damit auch gegen alle irgendwie animistischen Vorstellungen von "beseelten Gegenständen". Ja, er schreibt:
"so fragwürdig es bleibt, ob ein Subjekt in der Natur bereits als verwirklicht vorhanden ist, so sicher muß diese als treibende Anlage offengehalten werden, und zwar als eine, die durchaus in alle ihre Verwirklichungen hineinwirkt."
(786) Einerseits meint Subjekt das irgendwie Gestaltende, Kreative, Hervorbringende, Produzierende , ob bewußt oder nicht. Also ist von Zukunft zu reden: Er spricht
" (...) von der sonst bei Schelling und Hegel doch intendierten Annäherung an die Naturwurzel; an welche sich anzunähern selber keinen produktiven Sinn hat, wenn sie ausgeblüht hat. In Wirklichkeit aber hat sie weder ausgeblüht, noch ist die menschliche Geschichte, in ihrer Leiblichkeit, Umgebung, und vor allem in ihrer Technik, der Natur nur als einer vergangenen verbunden. Konträr: Die endgültig manifestierte Natur liegt nicht anders wie die endgültig manifestierte Geschichte im Horizont der Zukunft, und nur auf diesen Horizont laufen auch die künftig wohlerwartbaren Vermittlungskategorien konkreter Technik zu. Je mehr gerade statt der äußeren eine Allianztechnik möglich werden sollte, desto sicher werden die" - hier kommt es: " Bildekräfte einer gefrorenen Natur erneut freigesetzt. Natur ist kein Vorbei, sondern der noch gar nicht geräumte Bauplatz, das noch gar nicht adäquat vorhandene Bauzeug für das noch gar nicht adäquat vorhandene menschliche Haus. Die Fähigkeit des problemhaften Natursubjekts, dieses Haus mitzubilden, ist eben das objektiv-utopische Korrelat der human-utopischen Phantasie, als einer konkreten. Darum ist es sicher, daß das menschliche Haus nicht nur in der Geschichte steht und auf dem Grund der menschlichen Tätigkeit, es steht vor allem auch auf dem Grund eines vermittelten Natursubjektes und auf dem Bauplatz der Natur". (807)

Man beachte die Parallelität zum Marxschen Gedanken in der Kritik des Gothaer Programmes, daß nicht allein die Arbeit Quelle allen Reichtums ist, sondern auch die Natur. Und man erinnere sich der Stelle in den Pariser Manuskripten:

"Also die (kommunistische) Gesellschaft ist die vollendete Wesenseinheit des Menschen mit der Natur, die wahre Resurrektion der Natur, der durchgeführte Naturalismus des Menschen und der durchgeführte Humanismus der Natur." (MEW, EBl 538)
Bloch äußert immer wieder ähnliche Gedanken daß die Menschen eines Tages zur Resurrektion, zur (Wieder-?) Auferstehung der Natur beitragen können:

"(...) die Hoffnung, daß im Menschen der Hebel sei, von dem die Welt aus technisch in ihre Angel zu heben sei. Daß in der menschlichen Materie eine schlafende Potenz sei, die ihre Kräfte selber nicht kennt" (801).
Und weiter unten, gegenüber der Beschränktheit auf Mechanisches:

"Das mögliche Aktionsfeld des Menschen in der Natur ist zuverlässig umfangreicher, unabgeschlossener; und es kann das sein - womit das Hauptthema zurückkehrt - auf Grund jenes möglichen Subjekts in der Natur, das nicht bloß subjektiv, auch objektiv sich ausgebärt und utopisch dynamisiert."
Es kommt darauf an, daß "immer mehr an Stelle der bloß äußeren Notwendigkeit, gar des agnostischen Modells extra rem, das Herstellende auch in der Natur verspürt, aufgespürt, begriffen wird. " (783) Es geht um "wahlverwandte Natureinwohnung" im Gegensatz zu "bürgerlich-technischer Naturfremdheit": Damit muß es ein Ende haben:

"(...) die Tage des bloßen Ausbeuters, des Überlisters, des bloßen Wahrnehmers von Chancen sind auch technisch gezählt. Die bürgerliche Technik war insgesamt ein Überlister-Typ, und die sogenannte Ausbeutung der Naturkräfte war genausowenig wie die der Menschen primär aufs konkrete Material des Ausgebeuteten bezogen oder daran interessiert, in ihm einheimisch zu sein. Gerade Aktivität übers Gewordene hinaus, dieser in der Technik so wunderbar starke Impuls, braucht aber Anschluß an die objektiv-konkreten Kräfte und Tendenzen; es ist die technisch intendierte ,Übernaturierung , der Natur selber, welcher Einwohnerschaft in der Natur verlangt."

[...]

Hier (in der Naturwissenschaft und Technik) ist die Arbeit besonders wichtig und besonders schwer, gerade wegen der so tiefsitzenden Überzeugung von der Gesellschaftsunabhängigkeit von Naturwissenschaft und Technik.

Gesellschaftliche Prägung des Denkens, der Wissenschaft und Technik ist ein genuin marxistischer Gedanke, aufgenommen und weitergedacht durch Bloch und Sohn-Rethel. Dagegen Naturvergessenheit, Glaube an Gesellschaftsunabhängigkeit von Naturwissenschaft und Technik herrschend in der ganzen, sich auf Marx berufenden Tradition. Trotz Lektüre der Kritik des Gothaer Programms und trotz Lenins Naturphilosophie (die im LW38 weit über den mechanischer Auslegung fähigen Materialismus des Empiriokritizismus hinausging) hat die KPdSU (SED) faktisch darauf beharrt, daß "Arbeit Quelle allen Reichtums" sei, und daß Naturwissenschaft klassenunabhängig sei. Die Schdanowtschina benannte zwar die Notwendigkeit nichtbürgerlicher Wissenschaft, griff aber theoretisch wie praktisch viel zu kurz und trug damit letztlich erst recht zum Glauben an die westliche Wissenschaft bei. Folge: Tschernobyl. - Damit zugleich Unterwerfung unter Autoritäten: Herrschaftsstabilisierung.

U-Topie, Sansterre, Lackland, Ohneland zu entwickeln, ist Voraussetzung dafür, überhaupt Perspektive, Durchblick über und durch den Tageswirrwarr hinaus zu haben, jedenfalls Kriterien zu entwickeln, was notwendige - wenn auch wahrlich noch nicht hinreichende - Bedingung sein muß. Dabei muß man, um die "Mühen der Ebene" der vor uns liegenden Durststrecke zu überwinden, einen hohen Gipfel als Ziel vor Augen haben, und je länger die Ebene, desto höher, desto "utopischer" der Gipfel.

Zu solcher Zukunftsgesellschaft gehört (nach dem Gesagten gerade auch, um mit der Natur ins Reine zu kommen)

  • daß die Gesellschaft sich selbst zukunftsweisend organisiert, planmäßig die Trennung von Kopf- und Handarbeit tendenziell aufhebt,
  • dafür sorgt, daß die Vergesellschaftung immer weniger über Waren und deren Tausch funktioniert,
  • Ernst macht mit der Aufhebung des Privateigentums als gesellschaftlichem Verhältnis.
Notwendig, nicht hinreichend sind all diese Dinge, da noch so manches hinzukommen muß, was sich nicht - oder jedenfalls nicht offensichtlich - aus den politisch-ökonomischen Beziehungen ergibt, wie vor allem die Beseitigung des Patriarchats in allem Formen.

Hierher gehört auch die von Gramsci vor allem benannte Hegemonie über die Köpfe der Menschen, zu deren Stabilisierung die Ideologie von der Unverstehbarkeit der Welt und deshalb ihrer Unveränderbarkeit wesentlich beiträgt, von woher sich der ideologische Stellenwert der autoritätsfixierten Wissenschaft mit ihrer besonders in der Physik so ausgeprägten Ideologie der Erkenntnisschranke gehört.

Hier ist eine ganz konkrete Front, die Autoritäten anzuknacken, wie es die Anti-AKW-Bewegung so überzeugend getan hat. Wer erlebt hat, wie die Brokdorfer Bauern den Gutachtern der Atomindustrie selbstbewußt entgegentraten - auf fachlichem Gebiet und darüber hinaus - hat eine Ahnung davon bekommen, was emanzipatorische Wissenschaft heißen kann.

Die Gegenseite hat übrigens klarer als die Bewegung erkannt, welche Gefahren ihr drohen, wenn die Menschen konkret die Loyalität aufkündigen. So sagte Filbinger, der "furchtbare Jurist" und weiland Ministerpräsident von Baden-Württemberg: "Das Schlimmste an Wyhl ist das verteufelt gute Gewissen, mit dem die Menschen Gesetze brechen." Und: "Wenn Wyhl Schule macht, ist dieser Staat nicht zu regieren."

Da jede und jeder im eigenen Haus anfangen soll, komme ich dabei - wie gesagt - zur Einsicht, daß die Emanzipation von der herrschenden Ideologie der Autoritäten und Sachzwänge ein wichtiges Betätigungs- und Prüffeld ist. Von der ideologischen Selbstbefreiung der Anti-AKW-Bewegung in ihren Hochzeiten können wir dabei vieles Verallgemeinerungswertes lernen.

Was wir aus den Schriften von Marx, Bloch und Sohn-Rethel zur gesellschaftlichen Bestimmung von Naturwissenschaft gewinnen, das hat die Bewegung im Grunde schon erfahren. Auch für mich selbst ging die praktische Erfahrung in diesen Dingen der theoretischen Erkenntnis voraus. Mal wieder gilt: "Aus den Massen schöpfen, in die Massen hineintragen", denn: "Die wahren Helden sind die Massen, wir selbst sind oft naiv bis zur Lächerlichkeit." (Mao Zedong)


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