Philosophie

 Sartre

von
Doris Zeilinger

Trennendes und Einigendes

  • PH = Prinzip Hoffnung

Jean-Paul Sarte (1905-1980) wird nicht gleichermaßen zu Ernst Bloch in Beziehung gebracht wie etwa Georg Lukács oder Theodor W. Adorno. Ob Sartre Blochs Werk überhaupt zur Kenntnis genommen hat, scheint eine offene Frage zu sein. Bloch seinerseits nennt Sartre an einigen Stellen, allerdings in kritischer Perspektive:

"'Le Néant', auf Montparnasse, ist eine Bude, die noch heute Menschen, auch Dinge, die eben noch auf der Bühne standen, spurlos aus dem Gesicht bringt und aus dem Nichts ins Da-Sein zurückkehren läßt. 'Le Néant', auf Montparnasse aber, wirkt er nicht, als wollte er so lange vor Sartre schon entwerten und spotten: Aller Fortschritt ist einer ins - Nichts". (PH 503)

" ... wogegen ein bloßes Ansich der Natur, an dem weder Subjekt noch auch Objekt statthaben, eher zu Sartre führt, das ist: der Welt als disparater Steinwand um die Menschen, als zum Marxismus." (PH 787)

Bloch berührt hier zwei Gebiete: den geschichtlichen Fortschritt und die Naturfrage. Auf beiden Gebieten mögen Differenzen auszumachen sein, wobei sich Sartre mit der Naturproblematik kaum befaßt hat. Es gibt aber in beider Philosophien beachtliche Übereinstimmungen.

Möglichkeit und Freiheit

  • FdM = Fragen der Methode (Sartre)

Sartre und Bloch sind entschiedene Verfechter des Möglichkeitsdenkens und Gegner des Determinationsdenkens. Die Erkenntnis der Welt kann nie fertiger sein als die Welt selber, Philosophie kann "niemals als träge Sache, als passive und bereits abgeschlossene Einheit des Wissens" (FdM 11) angesehen werden. Der Weltprozeß, der Geschichtsprozeß ist offen und beeinflußbar, nicht zuletzt dadurch, daß jedem Menschen Freiheit eignet.

Erkenntnis und Marxismus Welches Wissen ist das dem Menschen gemäße? Sartre und Bloch beklagen die Schranke der bürgerlichen Wissenschaft und des "verbürgerlichten", weil idealistischen Marxismus (Sartre), des reduzierten Intellekts in der Partei (Bloch). Ignoranz, Nivellierung, Ordnungswut und Apriorismus haben hier manche Erkenntnis verunmöglicht. Der Marxismus entbehrt einer Forschungsmethode, kann insofern nichts Neues, kein Novum ausmachen. So ergänzen sich die Sartresche progressiv-regressive Methode und die Blochsche Ontologie des Noch-Nicht-Seins als kongeniale Entwürfe. Erfahrung und geprüfte Begriffe sollen in einem adäquaten Verfahren zu Erkenntnisssen über Menschen, Gesellschaft, Welt zu einer "neuen Rationalität" (FdM 121) fortgebildet werden.
Entwurf und konkrete Utopie Entwurf (Sartre) und konkrete Utopie (Bloch) drücken ein und dasselbe aus: Ausgehend von der prinzipiellen Offenheit des Weltprozesses sowie unter Berücksichtigung des Gegebenen entwerfen wir uns, antizipieren uns konkret. Der Entwurf oder die konkrete Antizipation können aber, wie bereits angedeutet, nicht nur auf der ausreichenden Kenntnis der Bedingungen beruhen, sondern die Gegenstände selbst, ihre inneren Bedingungen, und ihre Sachverhalte müssen "offen" sein. Dies setzt Sartre ebenso wie Bloch voraus, ohne es auf dem Gebiet der Natur oder der Materie zu explizieren.

Praxis und Emanzipation

  • EM = Experimentum Mundi

 

In beiden Ansätzen hat Praxis daher zentralen Stellenwert; sowohl Sartre als auch Bloch beziehen sich in ihrer Konzeption auf Marx. Bloch spricht vom "dialektisch-materialistischen Theorie-Praxis-Begriff des Marxismus", welcher die "Logik einer Situations- und Tendenzanalyse" (EM 249) beinhalte. Das tätige Begreifen ist von vornherein zielgerichtet, inhaltlich geht es um den konkreten Menschen, sein Verhältnis zum Menschen und - bei Bloch - zur Natur. Dieses Verfahren, das eine "verstehende Erkenntnis" (Sartre) zur Emanzipation der Menschen finden und befördern will, hat Marx in seiner Schrift Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte in bewundernswerter Weise aufgezeigt. "Heute jedoch", so Sartre, "läuft die Entwicklung darauf hinaus, daß die Tatsache - wie der Mensch - mehr und mehr zum Symbol wird" (FdM 135). Zwanzig Jahre nach Sartres Tod ist diese Entwicklung ungebrochen, ja beschleunigt.
Literatur
  • Sartre, Jean-Paul: Fragen der Methode (in neuer Übersetzung), Reinbek bei Hamburg 1999 (= FdM)