Spuren, VorSchein

 Märchen

von
Francesca Vidal

Utopischer Zug des Märchens

  • PH = Prinzip Hoffnung

Gerade die kleinen Helden und Armen gelangen hier dorthin, wo das Leben gut geworden ist." (PH 410f.)

In Märchen kommen Wunschbilder zum Vorschein, die sich durch ihren aktiven Charakter auszeichnen. Sie haben zumeist die Lebensweisen und Sehnsüchte unterprivilegierter Schichten zum Inhalt und schildern diese mit zukunftsweisender Phantasie. Die Kraft der M. beruht auf der symbolischen Erzählform, durch diese werden die utopischen Züge zu den wesentlichen. ‚Es war einmal' ist kein Hinweis auf Vergangenes, sondern auf eine mögliche bessere Welt.

Wider die Fessel des Bestehenden

Die Protagonisten der M. stehen exemplarisch für diejenigen, die sich aktiv aus misslichen Lagen befreien können. Sie sind nicht notwendig arm, sondern Held kann sowohl der Handwerksbursche als auch die Königstochter sein. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die vertraute Umgebung als Fessel empfinden und ihr entfliehen wollen. Deshalb ziehen sie aus, etwas Besseres zu suchen. Ungebundenheit und Weltoffenheit werden zur Voraussetzung für die Suche nach Glück, wobei immer offen bleibt, wie dieses Glück aussehen kann. Und da die Wunschvorstellungen der Helden offen bleiben, erlangen diese ihr Glück eher im Nebenher, als dass sie sich konkret auf ein Ziel zu bewegen.

Aufklärerisches Moment des Märchens Dass die Widrigkeiten überwunden werden, mit denen die Helden zu kämpfen haben, liegt an ihrer Fähigkeit, Mut und Verstand zu vereinbaren. Deshalb haben M. für Bloch ein aufklärerisches Moment. Die Märchengestalten stehen symbolisch für die Möglichkeiten, die bestehende Welt zu ändern. Durch die Bedeutung, die der Verstandestätigkeit zugesprochen wird, taugen ihre Stoffe auch zum Inhalt zeitgenössischer Varianten wie etwa in Walt-Disney-Produktionen.
Das Magische Zwar stehen dem Helden Zaubermittel zur Verfügung, aber er muss diese mit Verstand und List einsetzen, um festgefügte Ordnungen zu überwinden. Bloch betont im besonderen Maße die Differenz zwischen der Fantasiewelt und den gesellschaftlichen Strukturen der Zeit, in denen die M. mündlich tradiert wurden. Im M. gehen jenseitige und diesseitige Welt auf freundliche Weise ineinander über. Ort und Zeit werden irrelevant. Die magischen Mittel nehmen die Angst vor allem Undurchschaubaren. Das Magische "intendiert - um das Heimatgebiet aller Tischleindeckdich und auch der Wunderlampe wieder mit einem Märchen zu bezeichnen - es intendiert Schlaraffenland" (PH 415).

Literaturhinweise

  • LA = Literarische Aufsätze

 

  • Ernst Bloch, LA 196-199, Das Märchen geht selber in der Zeit.
  • Ernst Bloch, LA 338-347, Zerstörung, Rettung des Mythos durch Licht.
  • Ernst Bloch, PH 418-421, Fort nach den Fluren des Ganges, dort weiß ich den schönsten Ort.
  • Bürger, Christa, "Die soziale Funktion volkstümlicher Erzählformen - Sage und Märchen". projekt deutschunterricht 1, 1971, 25-56. Hrsg. v. Heinz Ide.
  • Vidal, Francesca. "Bilder als kritische und antizipatorische Möglichkeitserfahrungen". Kunst als Vermittlung von Welterfahrung: zur Rekonstruktion der Ästhetik von Ernst Bloch. Würzburg, Königshausen & Neumann, 1994. 82-89.