Editorial

Ein Vierteljahrhundert nach Ernst Blochs Tod findet sich die Welt in Kriegsgeschehen verwickelt, die eine neue Qualität erreicht haben: Nach dem Ende des Block-Zeitalters startete der Westen eine ausgreifende Hegemonialpolitik, die ihren ersten Höhepunkt im Jugoslawienkrieg 1999 erreichte. Es folgte der Krieg gegen das Taliban-Regime und - nach dem Terroranschlag vom elften September 2001 - der Irakkrieg. Zu Beginn des dritten Jahrtausends verläuft die Konfrontationslinie zwischen den westlichen Demokratien und dem politisch instrumentalisierten islamischen Fundamentalismus, zwischen den Gewinnern und den Verlierern des wirtschaftlichen und sozialen Globalisierungsprozesses.

Gleichzeitig gibt es in vielen Ländern ein Aufbegehren gegen diese Entwicklungen, sind Friedensbewegungen und soziale Rebellion nicht zu übersehen.

In der sich zuspitzenden weltpolitischen Lage schien es geboten, eine Tagung, die an Ernst Bloch und sein Wirken erinnern sollte, thematisch um diese Geschehnisse zu zentrieren und philosophisch im Sinne Blochs zu vertiefen. Zwei seiner zentralen Topoi, Utopie und Hoffnung, sind der Ausgangs- und Bezugspunkt der Beiträge.

Unmittelbar knüpfen Hans-Ernst Schiller und Peter Zudeick an die politischen Ereignisse, an das Kriegsgeschehen an. Beide kommen zu dem Ergebnis, daß Krieg kein Mittel der Politik sein darf. Schiller betont die Notwendigkeit der Wahrung des Rechts: "Eine wirkliche Neuheit wäre es jedenfalls, wenn Moral einmal nicht zur Legitimation des Rechtsbruchs der Mächtigen herhalten (und dabei verbogen werden) muß, sondern zur Einhaltung rechtlicher Grundsätze auch dann führen könnte, wenn dies die Selbstbeschränkung der Macht in Verfolgung ihrer strategischen Ziele bedeuten würde". Zudeick zeichnet den "Kampf" gegen den Krieg als einziges zukunftssicherndes und zugleich zivilisatorisches Mittel aus: "Kampf gegen den Krieg heißt wirklich Zivilisation, die "Rückkehr des Krieges" als Mittel der Politik ist Resignation, ist Kapitulation vor bestehenden und immer weiter zementierten Verhältnissen, ist das Ende und nicht der Anfang einer neuen Weltordnung".

Welche Antworten kann die Blochsche Philosophie auf jene Fragen geben, die eine "globalisierte" Welt aufwirft? Dieser Problemstellung widmen sich die Beiträge von Martin Blumentritt und Stavros Arabatzis. "Weber und Freud hätten vermutlich in Blochs Sprung einen vergeblichen Ausbruchsversuch aus dem stahlharten Gehäuse der entzauberten Welt gesehen und darin das Symptom eines ausweglosen Unbehagens in der Kultur erkannt. Ein Verdacht, der sich auch heute in den postmodernen und dekonstruktivistischen Ruinen oder im unvollendeten Projekt der Moderne sich wiederholt", so Arabatzis. Jedoch ist utopisches Potential nicht zu leugnen, wenn auch die Erkenntnisbemühungen verschärft werden müssen. Methodische conditio sine qua non ist für Blumentritt, daß eine "Diagnose der Gegenwart nur dann möglich (ist), wenn es dem erkenntnisbemühten Subjekt gelingt, diese immanent zu transzendieren, und zwar temporal in zwei Richtungen: durch die Erkenntnis der Vergangenheit der Gegenwart und analog dazu durch eine Demonstration von Potentialen einer vernünftigen Zukunft, die ex negativo, per bestimmter Negation, bestimmbar ist".

Wie sich die Position Ernst Blochs von den Entwürfen seiner Zeitgenossen unterscheidet, zeigen Arno Münster und Christian Fuchs. Münster, die Kontroverse zwischen Günther Anders und Bloch analysierend, macht einen Konvergenzpunkt zwischen beiden aus: den Appell zum Widerstand - von Anders proklamiert angesichts der atomaren Bedrohung, von Bloch als generelle Haltung gegen Unrecht und Unterdrückung gefordert. Allerdings sieht Münster darüber hinein keine Möglichkeit, den Riss, der die tief pessimistische Weltsicht eines Günther Anders von der Philosophie der Hoffnung trennt, zu kitten. Welches Fortschrittspotential in Technik gerade heute enthalten sein kann, erarbeitet Fuchs in seinem Vergleich zwischen den Positionen Herbert Marcuses und Ernst Blochs. Ausgehend von dem doch unzulänglichen Utopiebegriff Marcuses unterstreicht Fuchs, daß Fortschritt - auch technischer - heute "durch eine Politik des subjektiven Faktors und des radikalen Reformismus gestärkt werden" könnte, was wiederum als Marcuses Beitrag anzusehen wäre.

Sehr prinzipiell behandelt Volker Schneider das Thema Technik, indem er an den mathematischen Wurzeln derselben rührt. Für ihn ist technischer Fortschritt, Blochs "neue" Technik, die in der Natur nicht mehr steht "wie in Feindesland" (Bloch), gekoppelt an eine grundlegende Kritik mathematischer Methoden. Zwar enthält das Konzept einer "berechenbaren Materie" durchaus utopische Potentiale, die Schneider aber als "negative Utopie" prononciert. Doris Zeilinger wirft die Frage nach den ethischen Konsequenzen einer Philosophie auf, deren Kern die "Ontologie des Noch-Nicht-Seins" auf der Basis einer Prozessmaterie ist. Wenn konkrete Utopie als Qualitätsmerkmal der Realität unbestreitbar und in zahlreichen, vor allem naturwissenschaftlichen Errungenschaften offenkundig geworden ist, so stellen sich desto dringlicher Fragen nach den Maximen menschlichen Handelns.

Ulrich P. Trappe bezweifelt in seinem Beitrag, daß sich Utopie noch aus einem anderen Geist als dem der Transzendenz speisen könne. Seine Forderung nach einer "positiven Dialektik" ist im Rahmen von Natur und Geschichte nur insofern verwirklichbar, als der Mensch hier auf Erden büße für die von ihm zu verantwortenden Untaten. Blochs Hoffnung sei als nicht-transzendente letztendlich eine falsche: "Erfüllung, Rettung, Erlösung - theologische Kategorien - beleuchten blutige Geburten "falscher" Hoffnung. Nur absolute Transzendenz und ihre Dialektik heiligen den Geist der Utopie. - Nicht die Aktualität, sondern die Gegenwärtigkeit Blochscher Philosophie stellt Anne Frommann ins Zentrum ihrer Überlegungen. Anders als Trappe sieht sie im ersehnten und - wenn auch noch selten - erlangbaren Erleben des "Nun", der höchsten Form des Blochschen "Augenblicks", durchaus eine Quelle für die Beförderung wirklicher Gegenwart "als Raum und Zeit für uns".

"Fühlte Bloch sich selbst zu seinen Lebzeiten politisch und sozial heimisch? Die Antwort ist kurz und knapp: Er befand sich sein Leben lang in einem Zustand der Entäußerung und Entfremdung", so Eberhard Brauns Resümèe. Wie Bloch sein Werk diesem Zustand abgerungen hat, welche Hoffnungen er dennoch hatte, ob konkrete Utopie heute bessere Bedingungen habe als zu Blochs Lebzeiten, all diesen Fragen geht Braun in seinem Beitrag nach.

Zum Gelingen der Tagung haben weitere Vorträge beigetragen, die großteils bereits an anderer Stelle publiziert wurden: Udo Bauer (Bremen) referierte zum Thema "Trunken wankte ich aus der "Bar jeder Hoffnung" ". Über Ernst Blochs Musikphilosophie sprach Jan Robert Bloch (Berlin) " "Der schwingende Ton zieht fort": Ernst Bloch, der Chiliasmus und die Musik". Beat Dietschy (St. Gallen) widmete sich dem Thema der Globalisierung: "Multiversum contra Totum. Kritische Differenzierungen im Begriff Globalisierung", eine Differenzierung von "Vision und/oder Utopie" nahm Francesca Vidal (Landau) vor. Das Spannungsverhältnis von "Widerspruchserfahrung und Utopie" thematisierte Werner Seppmann (Haltern).

Die Tagung zu Ernst Blochs 25. Todestag fand unter dem Titel "Grenzen der Utopie? Krieg der Hoffnung?" vom 28. bis 30. Juni 2002 im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen am Rhein statt. Für die freundliche Aufnahme und die gute Zusammenarbeit bedanken wir uns ganz herzlich beim Mitveranstalter der Tagung, dem Ernst-Bloch-Zentrum und seinem Leiter, Herrn Klaus Kufeld.

Doris Zeilinger